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Hautnah berichtet: Naziaufmarsch in Leipzig (12.12.2015)

Alle Bilder via HATE MAGAZIN von

Als vor circa einem Monat die ersten Screenshots der Ankündigung von 3 Naziaufmärschen durch meinen Lieblingsstadtteil auftauchten dachte ich zunächst “haha, witzig”. Als ich mich dann selbst auf den Facebookseiten der Anmelder von deren Echtheit überzeugt hatte wandelte sich das Ganze in Wut über die Dreistigkeit und in mir kam die Frage auf, ob die Leuchten, die für die Organisation solcher Aufmärsche verantwortlich sind zum Zeitpunkt der Ankündigung besoffen waren, weil ich mir diese Schnapsidee anders einfach nicht erklären konnte.

Thügida, die Rechte und die Offensive für Deutschland mobilisierten mit sehr martialischen Aufrufen und Videos zu drei Unabhängigen Demonstrationen, mit je 400 zu erwartenden TeilnehmerInnen, welche dazu aufgefordert wurden Connewitz „in Schutt und Asche“ zu legen. Anmelder waren Alexander Kurth (Bullenfreund / die Rechte Sachsen), Silvio Rösler (OfD / Ex Legida) und Michael Fischer (Thügida) mit freundlicher Unterstützung von David Köckert (NPD Stadtrat Greiz / Thügida Hauptakteur). Mehr zu den genannten Personen gibt’s im Anhang, weil das ganze so den Rahmen sprengen würde.

Die nächsten Tage dachten mein Umfeld und ich vermehrt darüber nach, ob und wie das ganze genehmigt werden würde und kamen schnell zu dem Entschluss, dass sie entweder garnicht – oder nicht durch Connewitz laufen werden. Die Befürchtung, dass das nur wenige der potentiellen Teilnehmer davon abhalten wird sich zumindest nachts ins Viertel zu verirren blieb allerdings, weshalb wir uns auch alle gleich etwas weniger auf die am selben Tag stattfindende vorletzte Bane Show freuen konnten. Hatten wir doch ein schönes Wochenende mit Freunden auf dem Connewitzer Weihnachtsmarkt geplant war uns jetzt klar, dass es zum Jahresende noch einmal unentspannter werden wird.

So kam nun die Woche der Demo und wir machten uns ins Conne Island, um an einer Infovernstaltung zum Wochenende teilzunehmen. Bis dato sah es noch nach dem angekündigten Sternmarsch aus, wobei wir ahnten, dass Änderungen wohl so kurzfristig wie möglich angekündigt werden würden. Bei der Infoveranstaltung war ich jetzt erstmal davon überwältigt, wie viele Interessierte sich am Abend ins Island gemacht hatten. Wenn man in einer Stadt aufgewachsen ist, in der die politische Gruppe aus 5 Menschen bestand und die Zahl der an nichtparteilichen Politik Interessierten die 5 höchstens knapp übersteigt tut es sehr gut, sich ein Umfeld ausgesucht zu haben, indem das anders ist.

Dann kam auch der Freitag Abend und die angekündigte Vorabenddemonstration.

Da großflächig mobilisiert wurde und “Antifa e.v.” zur Weihnachtsfeier am Samstag geladen hatte war mit einer regen Teilnahme zu rechnen, vorallem im Anbetracht des zu erwartenden Demogeldes. Dass da dann allerdings bereits am Vorabend über 1000 Menschen ein Zeichen gegen Rassismus setzten hat das gute Gefühl von großer Solidarität nochmal verstärkt. Die Demo war ruhig und die Polizei überraschend zurückhaltend. Fast hätte einen das Gefühl beschleichen können, da sei am Abend die B-Ware am Werk, worüber ich mich an dieser Stelle aber nicht beschweren möchte.

Mittlerweile war auch bekannt, dass die drei Aufmärsche zu einem zusammengelegt wurden und sich die 600 m lange Route in der benachbarten Südvorstadt befindet.

In der Nacht von Freitag auf Samstag gab es einen Übergriff auf ein Parteibüro der Linken.

Meine persönlichen Erlebnisse vom Samstag werde ich hier aus verschiedenen Gründen nicht aufschreiben, jedoch möchte ich die Ereignisse im Allgemeinen kurz anschneiden und aus meiner ganz persönlichen Sicht kommentieren.

Circa 200 Nazis haben es nach Leipzig geschafft und wurden vor Ort von der Polizei geschützt, als seien sie das wertvollste was Leipzig je gesehen hat. Neben der Brigade Halle war auch die Brigade Bitterfeld sowie die freie Kameradschaft Dresden vor Ort. Besorgte Bürger waren Fehlanzeige – stattdessen also ausschließlich gestandene Nazihools, die Dank Hamburger Gitter und massiver, zumindest auf dieser Seite friedlicher Polizeipräsenz ungestört laufen konnten. Vielleicht hat Alexander Kurth’s guter Freund Fernando Vergara hier deeskalierend interveniert, durfte er doch an diesem Tag den Dienst antreten, obgleich jedem bekannt sein sollte, dass Vergara nicht unparteiisch ist.

Friedliche Blockaden, die sich auf der Demonstrationsstrecke der Nazis eingefunden hatten wurden hingegen gewaltsam mit CS-Gas und Schlagstöcken geräumt.

Auch der, den meisten bereits aus Dresden bekannte, jenaer Pfarrer Lothar König hat sich wieder so sehr gegen den Staat aufgelehnt, dass einer der Beamten es für notwendig befand, ihm mit der Faust ins Gesicht zu schlagen, bevor der Lautsprecherwagen, den Lothar fuhr, samt Insassen in Gewahrsam genommen wurde. Von Verhältnismässigkeit kann leider mal wieder keine Rede sein und ich kann mir selbst in meinen phantasievollsten Momenten nicht erklären, was die Polizei in diesem Fall mit ihrem Verhalten erreichen will. Exempel statuieren oder doch eher lächerlich machen? Zweiteres scheint mir realistischer…

Insgesamt fanden am Samstag zehn angemeldete Gegendemonstrationen / Kundgebungen statt, an denen sich um die 4500 DemonstrantInnen beteiligten, welche wohl teilweise ebenfalls das seichte Gefühl von abgelaufenem (!) Tränengas in Atemwegen und Augen kennenlernen durften.

Jeglicher Protest in Sicht- und Hörweite wurde durch die Polizei verhindert.

Zu den Geschehnissen abseits der Demonstrationen und den Bildern, die wohl in den Medien zu sehen waren, möchte ich inhaltlich nicht viel sagen. Ich bin ALLEN AntifaschistInnen dankbar, die am 12.12 nicht die Stadt verlassen haben oder die Couch gehütet haben. Danke an alle, die angereist sind um uns zu unterstützen. In linken Zentren applaudieren, wenn die Band auf der Bühne gerade „Nazis raus!“ ruft ist schön aber einfach. Den Menschen, die das in die Tat umsetzen und ihren Protest nicht bürgerlich ausleben jetzt Vorwürfe zu machen ist dumm. Wer nichts macht macht nichts falsch.

69 Verletzte zählt die Polizei am Ende des Tages. Ich wette, dass 60 davon in ihr eigenes Tränengas gelaufen sind. Die anderen 9 wurden vermutlich von dem Kollegen eingenebelt, der mit der geplatzten Kartusche auf seinem Rücken erstmal in die eigenen Leute nennt. Danke dafür – einer von uns! Genaue Angaben über verletzte DemonstrantInnen sind nicht bekannt, es existieren lediglich Fotos und Augenzeugenberichte von einem jungen Mann, der von der Polizei bewusstlos geprügelt wurde und dem zunächst Erste Hilfemaßnahmen verweigert wurden.

Das beste Zitat, welches mir zum gestrigen Tag einfällt, stammt von einem Känguru:

Ein extrem wichtiges Thema. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ob Links-oder Rechtsextremismus – da sehe ich keinen Unterschied.“

Doch, doch«, ruft das Känguru laut dazwischen. »Es gibt einen Unterschied. Die einen zünden Ausländer an, die anderen Autos. Und Autos anzünden ist schlimmer. Denn es hätte mein Auto sein können. Ausländer besitze ich keine.“

Ich halte dieses Land schon länger im Kopf nichtmehr aus, besser wird’s nicht.

Trotz all den unschönen Ereignissen hatten wir einen guten Abschluss bei der vorletzten Bane Show. Auch wenn ich nie Bane-Fan war bin ich froh, dabei gewesen zu sein. Danke ans Conne Island für mentale Unterstützung der DemonstrantInnen und wieder einmal für Taten statt Worte – im Conne Island zahlen Refugees bei Veranstaltungen 50 Cent und haben mittlerweile schon den ein oder anderen Stage-Dive-Rekord aufgestellt.

Siamo tutti antifascisti

eva

Ich lege hier für den Fall meines Todes das Bekenntnis ab, dass ich die deutsche Nation wegen ihrer überschwänglichen Dummheit verachte, und mich schäme, ihr anzugehören.“ (A. Schopenhauer)

 

Alexander Kurth:

http://jule.linxxnet.de/index.php/2014/06/alexander-kurth-verursacht-neuwahl-im-kommunalwahlkreis-9-in-leipzig/

https://linksunten.indymedia.org/de/node/142944

Silvio Rösler:

https://linksunten.indymedia.org/de/node/129864

(mittlerweile ex Legida, stattdessen OfD)

Michael Fischer:

David Köckert:

https://thueringenrechtsaussen.wordpress.com/2015/07/28/die-vielfahrerei-holt-ihn-ein-scheinheiligkeit-und-insolvenz-bei-david-kockert/

Videointerview Lothar König:

http://www.mdr.de/sachsen/leipzig/video315942.html